Plage #2: VG Wort, die Zweite

VG Wort Rückzahlungen

Den Verlagen stehen laut BGH-Richterspruch vom April 2016 (mit einem europäischen “Vorläufer” vom EUGH, 12.11.2015) keine VG Wort-Verlagsanteile mehr zu, weil sie offenbar 60 Jahre nach Gründung der VG Wort in Partnerschaft mit AutorInnen nun keine Ansprüche auf eine Entschädigung für Kopien aus den von ihnen verlegten Büchern mehr haben. Wir hatten festgehalten, dass für viele Wissenschaftsverlage der Verlagsanteil der VG Wort-Ausschüttung jährlich rund 30% ausmachte. Im Jahre 2012 lag der Betrag deutlich darüber, weil hier Nachzahlungen aus zurückliegenden Jahren zusätzlich ausgeschüttet wurden.

Rückzahlungsbescheid: Oktober 2016. Zahlungsziel: 30. November 2016

VG Wort Rückzahlung
Wo gehobelt wird …

Durch den Richterspruch ist die VG Wort nun aber gezwungen, die Ausschüttungen der Verlagsanteile aus den Jahren 2012 bis 2015 zurückzufordern.

Von einer Gesamtsumme von etwa 100 Millionen ist die Rede. Das mag für Großkonzerne ein müdes Lächeln sein, eine Kommaverschiebung in der Bilanz und ein kleiner Wackler im Börsenkurs – wenn überhaupt.

Für die von kleinen und mittelgroßen Verlagen geprägte Verlagsbranche in Deutschland ist das eine Katastrophe. Während große Konzernverlage Gewinne von 20% und mehr ausweisen, liegt die Benchmark bei den unabhängigen Wissenschaftsverlagen bei 5% bis 10% vom Umsatz – in guten Jahren.

Eine Beispielrechnung zum VG Wort-Verlagsanteil

Lassen Sie uns mal rechnen:

Ein Verlag hat in den Jahren 2012 bis 2016 einen Umsatz von jeweils rund 4 Millionen Euro gemacht. Es geht dem Verlag ausgezeichnet, und er hat jedes Jahr einen Gewinn von 400.000 Euro gemacht (10%). Knapp ein Drittel dieses Gewinns (30%) zog der Verlag aus den VG Wort-Verlagsanteilen, die jährlich ausgeschüttet wurden. Das sind Jahr für Jahr bis 2015 120.000 Euro. Für die Jahre 2012 bis 2015 also insgesamt 480.000 Euro. Im Jahre 2016 gab es keine Entschädigung mehr für den Verlag. Der Umsatz in 2016 sinkt also auf 3,88 Millionen Euro (denn wir ziehen den VG Wort-Umsatz ab, der genauso hoch war, wie der VG Wort-Gewinn). Der Gewinn für das Jahr 2016 wird um die 270.000 Euro liegen.

Der Verlag hat also eine zusätzliche Belastung in Höhe der Verlagsanteile aus den Jahren 2012 bis 2015, die in 2016 zurückgezahlt werden müssen. Dieser Betrag liegt bei etwa 480.000 Euro. Dem steht für das Jahr 2016 ein Gewinn von 270.000 Euro gegenüber. Das passt nicht gut. Da fehlt ordentlich was.

Übrigens, erinnern wir uns: In 2012 war der VG Wort-Anteil beinahe doppelt so hoch wie in den übrigen Jahren. Mithin liegt die Rückzahlungsforderung um ganz grob 120.000 Euro höher – insgesamt also bei 600.000 Euro. Der prognostizierte Gewinn von 270.000 Euro reicht bei weitem nicht für die sofortige Rückzahlung.

Für viele sieht es weit übler aus

In diesem Beispiel macht der VG Wort-Verlagsanteil 30% des Gewinns aus. Und der Verlag hat Jahr für Jahr einen gleichmäßigen für den Wissenschaftsbereich recht hohen Gewinn von 10% vom Umsatz ausgewiesen.

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels sagt, dass der VG Wort-Verlagsanteil der Jahre 2012 bis 2015 bei Verlagen 20% bis 200% des durchschnittlichen Ertrags ausmacht. Unser Beispiel deutet also nur eine Katastrophe an, deren Ausmaß im Einzelfall weit größer sein kann.

Der Börsenverein berichtet am 9.11.2016 von einer Erklärung der Kulturstaatsministerin Prof. Dr. Monika Grütters, die sagt, dass 20% bis 25% der Verlage in Deutschland durch die sofortige Zahlung der VG Wort-Rückforderungen in akute Existenznot geraten. Die Zahlen aus unserem Beispiel belegen dies. (Das Wissenschaftsministerium schweigt im Übrigen. Wissenschaftsverlage, so habe ich das Gefühl, werden dort ohnehin für überflüssig erachtet. Doch das ist ein anderes Thema für einen anderen Blog-Beitrag.)

Fehlende Vorsorge

Übrigens ist es weder Schlamperei noch Sorglosigkeit, dass die meisten Verlage kein Geld für die VG Wort-Rückforderungen auf die hohe Kante gelegt haben.

Zum einen wird in unserem Beispiel deutlich, dass konzernfreie Wissenschaftsverlage Maßnahmen hätten ergreifen müssen, um die VG Wort-Rückforderungen vorzubereiten – Preiserhöhungen, möglicherweise Programmeinschnitte etc. Diese Neukalkulationen müssen nun erfolgen, seit das Urteil gefällt ist – und machen den Verlagen genauso wenig Freude wie ihren KundInnen. Sie verschlechtern die Position der unabhängigen Verlage im Vergleich zu den internationalen Großkonzernen noch – auch dazu in einem weiteren Blog-Post mehr.

Zum anderen läuft das Verfahren, dass mit dem BGH-Spruch im April 2016 sein Ende gefunden hat, seit Jahren. Zwar hatte es bereits 2012 eine Entscheidung “im Einzelfall” gegen einen Verlagsanteil gegeben. Die Ausschüttungen der VG Wort erfolgten seither “unter Vorbehalt”. Dennoch sah es immer wieder danach aus, als würde die jahrzehntealte partnerschaftliche Verteil-Praxis letztlich weitgeführt werden.

Hurra, wir leben noch!

Nein, uns wird das Ganze nicht das Genick brechen – weder der Wegfall des VG Wort-Verlagsanteils, der uns nach dem Buchstaben des Gesetzes meinetwegen nicht zusteht; auch wenn die damaligen Gründer das wohl anders gemeint hatten und auch der Gesetzgeber sich zwischendurch immer wieder für einen Verlagsanteil ausgesprochen hatte, allerdings ohne entsprechende Gesetze zu erlassen. Auch die Rückzahlung des Verlagsanteils der Jahre 2012 bis 2014 (in 2015 hatten wir bereits darauf verzichtet, weil eine Änderung im juristischen Wind absehbar wurde) werden wir überstehen.

Doch beides belastet uns wirtschaftlich, sodass wir nun gezwungen sind, Geschäftsmodelle zu überdenken, Preise zu erhöhen und so unsere Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Großkonzernen noch weiter zu belasten. Denn dass wir in diesem Wettbewerb auch dank der Haltung einzelner Bundesministerien noch geschwächt werden, zeigt sich in den nächsten Blog-Posts.

 

 

8 Gedanken zu „Plage #2: VG Wort, die Zweite

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